Same procedure….. : FBI Statistik von den Medien falsch interpretiert

Die Süddeutsche Zeitung hat – mal wieder – das Wesentliche übersehen und verwechselt Amokläufe mit „active shooter incidents“.

Zahl der Amokläufe steigt: Newtown, Aurora, Blacksburg: Das FBI hat Amokläufe in den USA untersucht. Ergebnis: Es gibt immer mehr Opfer. Die Täter sind meist männlich und handeln allein. (SZ vom 25. September 2014)

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FBI-Studie (Foto: Federal Bureau of Investigation)

Dabei steht in der Studie, deren Foto die SZ verlinkt, alles Wichtige. Man kann daher davon ausgehen, dass die Schreiberin Anna Fischhaber die Studie gelesen hat.

This is not a study of mass killings or mass shootings, but rather a study of a specific type of shooting situation law enforcement and the public may face. [1]

Dies ist keine Studie über Massenmorde oder Massenschießereien (Anm.: irrtümlich von den Medien als Amoklauf bezeichnet), sondern eine Studie über eine ausgewählte Art von Schießereien, auf die Polizei und Öffentlichkeit treffen können.

Und genau hier liegt das Problem. James Alan Fox, Strafrechtsprofessor an der Northeastern University, und Grant Duwe, Direktor der Forschung für das Minnesota Department of Corrections und Autor eines Buches über die Geschichte der Massenmorde in den USA, sind bekannte Größen, wenn es um Massenschießereien geht. Und beide empfinden die FBI-Zahlen als irreführend.

Ein „active shooter“ (aktiver Schütze) muß nicht unbedingt jemanden töten. Von einer Massenschießerei spricht man, wenn an einem Ort drei oder mehr Menschen mit Schusswaffen getötet werden. In dem Bericht entfallen von den 160 Vorfällen nur 64 in die Kategorie Massenschießerei (Amoklauf), bei 31 Vorfällen wurde niemand getötet.

Wenn aktive Schützen aus der Gleichung entfernt werden, sagte Fox, dann sind Massenerschießungen in den letzten Jahrzehnten nicht gestiegen. Die Anzahl der Zwischenfälle und die Zahl der Opfer ist sogar seit den 1970er Jahren relativ stabil geblieben.

Auch kritisieren beide Wissenschaftler die Methodik des Berichts. Die FBI-Forscher haben die digitalen Nachrichten durchkämmt. Neue Vorfälle findet man dort häufig, ältere kaum. So listet das FBI nur einen Vorfall im Jahr 2000 auf, während Duwes Analyse zwei Fällen aufzeigt. Dadurch werden die Zahlen verzerrt.

Laut Duwe war das Jahr 2012 das schlimmste Jahr der Massenerschießungen in der Geschichte der USA. Im Gegensatz zum FBI und der SZ sieht Duwe jedoch eine Rückkehr zum durchschnittlichen Niveau. Er fand nur drei Massenerschießungen im Jahr 2013 mit 22 getöteten Menschen und sagte, ähnliche Rückgänge passierten auch nach 1991 und 1999, beides ebenfalls Jahre mit hoher Opferzahl durch Massenerschießungen in den USA. [2]

John R. Lott beschäftigt sich ebenfalls seit Jahren mit der Gefahr und dem Benefit des privaten Waffenbesitzes. Er untersuchte „multiple victim public shootings“ und definiert diese wie folgt: zwei oder mehr Menschen wurden ermordet oder verwundet an einem öffentlichen Platz, wie z.B. Kirche, Geschäfte, Bars, Staße, Regierungseinrichtungen, Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Arbeitsplatz, Park, Gesundheitseinrichtungen, Shopping-Center oder Restaurants.

Genau wie das FBI zählt Lott keine Vorfälle mit, bei denen die Schießerei ein „Nebeneffekt“ bei einem Verbrechen darstellt. D.h. Raubüberfälle, Drogendelikte, Gangkriminalität bleiben unberücksichtigt. Schauen wir uns Lotts Analyse der Public Shootings an, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Häufigkeit abnimmt. Bei ihm kommt man auf einen Median von 28. [3]

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Multiple Victim Public Shootings John R. Lott

Vergleichen wir das mit den Aussagen der SZ:

Die Zahl der Amokläufe ist der FBI-Studie zufolge von durchschnittlich 6,4 pro Jahr (von 2000 bis 2006) auf 16,4 (von 2007 bis 2013) gestiegen.

Richtigerweise müsste es heißen, dass die Zahl der Schießereien (nicht Amokläufe) gefallen sind, und zwar von einem durchschnittlichen Mittelwert von 28 auf 16, wobei das von Duwe erwähnte Jahr 1999 mit ebenfalls hoher Opferzahl nicht einmal einfließt.

Schauen wir uns für beide Zeiträume willkürlich gewählte 14 Jahre an, dann sieht es ebenfalls schlecht dafür aus, anhand der Opferzahlen von einer Zunahme zu sprechen.

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FBI Opferdiagramm

Vergleichen wir wieder mit der SZ:

Insgesamt gab es bei den 160 Schießereien 1043 Opfer – alte und junge Menschen, Männer und Frauen. 486 von ihnen starben, 366 allein in den vergangenen sieben Jahren.

Eigentlich hätten FBI und SZ von einem 15%igen Rückgang (1236 zu 1043) der Opferzahlen sprechen müssen, bei den Ermordeten sind es sogar 35% Rückgang (750 zu 486) .

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Lott: Opfer von Schießereien 1977-1997

Oder man verzichtet einfach auf Zahlenspielereien und schließt sich Duwes Meinung an: es gibt ein durchschnittliches Niveau von Verbrechen, auch bei öffentlichen Schießereien.

Dieser Meinung ist auch der Projektleiter beim Institut für Demoskopie Allensbach, Dr. Thomas Petersen, dessen Artikel ich vor 18 Monaten verbloggt hatte:

Obwohl das Individuum nicht vorhersehbar ist, ist die Gesellschaft als Ganzes vorhersehbar – und zwar vorhersehbarer als die Effekte der Teilchenphysik (die gänzlich emotionslos vonstatten geht) und das seit über 400 Jahren.

Bereits im Jahr 1662 beschrieb der englische Kaufmann John Graunt in einer Schrift mit dem Titel „Observation on the Bills of Mortality“die auffällige Regelmäßigkeit der Jahr für Jahr gleich bleibenden Zahl von Todesfällen. Ein Jahrhundert später stellte der preußische Pfarrer Johann Peter Süßmlich fest, dass dies auch für die verschiedenen Todesarten galt, darunter unter anderem Mord und Selbstmord. Was kann es persönlicheres geben als einen Selbstmord? Und doch sind es in jedem Jahr gleich viele Fälle, bei denen sich dieses Drama abspielt.

Das Beispiel zeigt, dass es neben der individuellen Identität des Menschen auch so etwas wie eine kollektive Identität von Gesellschaften gibt, die ihren eigenen Gesetzen folgt. Vielen Menschen fällt es außerordentlich schwer, dies zu akzeptieren.

Wie können öffentliche Schießereien verhindert werden?

Bei über der Hälfte der FBI-Fälle (90 von 160) war die Schießerei beendet, bevor die Polizei eintraf. Bei 44 Fällen dauerte diese nur 5 Minuten, bei 23 Fällen sogar weniger als drei Minuten. Der Schütze machte entweder Selbstmord, flüchtete, hörte auf zu Schießen oder konnte vor Ort gestoppt werden. Warum sie Selbstmord verübten, flüchteten oder mit dem Schießen aufhörten, wird nicht beschrieben. Auch passen die Fälle nicht einfach in die Schubladen. So wird dieser Fall vom FBI unter Selbstmord und nicht unter Stoppen durch bewaffneten Zivilisten eingeordnet.

Oregon: On December 11, 2012, at 3:25 p.m., Jacob Tyler Roberts, 22, armed with a rifle, began shooting at people waiting to see Santa Claus in the Clackamas Town Center Mall in Happy Valley, Oregon. Two people were killed; one was wounded. The shooter committed suicide  before police arrived.

Sämtliche Medien und sogar die Polizei vergaßen zu erwähnen, dass der Schütze in Oregon von einem legal bewaffneten Bürger ins Visier genommen wurde, dann flüchtete und sich selber erschoss. Das Eingreifen Melis wird als möglicher, aber nicht belegter Beitrag zum Selbstmord bewertet. [4] [5]

Es scheint, dass die vom FBI aufgeführten Fälle oft persönliche Hintergründe haben:

  • 17 von 20 Attentätern in Schulen waren Schüler dieser Schule
  • 22 der 23 Attentäter an Arbeitsplätzen waren (ehemalige) Mitarbeitern der beteiligten Unternehmen
  • Bei 15 Fällen waren Familienmitglieder das Ziel
  • Bei 15 Fällen war die aktuelle oder ehemalige Ehefrau/Freundin das Ziel

Auch scheint es gefährlicher zu sein, shoppen oder arbeiten zu gehen als in die Schule (45% zu 24%). Dies gilt auch für die Polizei. Während kein Polizist bei einem School Shooting bisher getötet wurde, endete deren Einsatz bei den 45 Fällen, wo Schütze und Polizei an anderen Orten aufeinander trafen, mit 9 Toten und 28 Verwundeten auf Seiten der Polizei.

Die FBI-Studie zeigt, dass bei 21 Fällen unbewaffnete Bürger sich den Mördern in den Weg gestellt hatte. In 3 Fällen waren es bewaffnete Bürger, in 3 Fällen bewaffnete Wachleute und Polizisten in ihrer Freizeit und in 7 Fällen Bewaffnete im Dienst. Deren Einsatz dürfte vielen Menschen das Leben gerettet haben.

Die FBI-Studie kommt zu dem Schluss, dass die Schnelligkeit dieser Vorfälle es bedingen, dass nicht nur Polizei, sondern auch die Bürger besser ausgebildet und trainiert werden müssen.

Auch wenn die Polizei anwesend oder in der Lage war, innerhalb von Minuten zu reagieren, mussten Zivilisten in Sekunden Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Daher ist es laut FBI wichtig, dass auch Zivilisten bereits im Vorfeld mögliche Eingriffe trainieren und diskutieren und sich der Risiken und Optionen bewusst werden.

Die Huffington Post hingegen nahm diese Studie zum Anlass, gegen die NRA zu wettern: [6]

The fact that 21 of these shooting situations were terminated by unarmed civilians as opposed to a single incident that ended because a good guy had a gun might come as a big surprise to the NRA, but for those of us who try to engage in the gun debate by issuing statements based on facts, this finding is consistent with other evidence that the pro-gun community chooses to ignore. For example, in 2005 Gary Kleck published a study funded by the Department of Justice which showed that persons who resisted assaults by running away or calling the police had a better chance of escaping injury than if they resisted the assault with a gun. This is the same Gary Kleck whose 1994 paper claiming that millions of Americans thwart crimes each year with guns is still cited by the NRA as its gospel for justifying civilian armed defense.

Die Tatsache, dass 21 von diesen Schießereien von unbewaffneten Zivilisten beendet wurden im Gegensatz zu einem einzigen Zwischenfall, der endete, weil ein „good guy“ eine Pistole hatte, könnte eine große Überraschung auf die NRA sein. Aber für diejenigen von uns, die versuchen in der Waffendebatte auf Fakten zurückgreifen, ist dieser Befund im Einklang mit anderen Beweisen, die die Pro-Waffen-Community ignoriert. Zum Beispiel veröffentliche Gary Kleck im Jahr 2005 eine Studie, finanziert vom Department of Justice, die zeigte, dass Personen, die Angriffe durch Weglaufen oder die Polizei zu rufen erwidern, eine bessere Chance haben, einer Verletzung zu entkommen als wenn sie den Angriff mit einer Waffe widerstehen. Dies ist der gleiche Gary Kleck, dessen 1994 Studie behauptet, dass Millionen von Amerikanern Verbrechen mit Waffen vereiteln, welche immer noch von der NRA als Evangelium zur Rechtfertigung zivilen bewaffneten Verteidigung zitiert wird.

Zunächst sind die fünf Polizisten und Sicherheitsbeamte außer Dienst genau die gleichen „good guys“ wie der Zivilist. Dann haben sich die 21 unbewaffneten Zivilisten in eine sehr große Gefahr begeben als sie die Attentäter konfrontierten. Es kann sein, dass sie den Schützen persönlich kannten und daher, z.T. berechtigt, glaubten, ihn von seinem Tun abzuhalten. Und zum dritten fand keine dieser Schießereien auf einem Schießstand statt, sondern an Arbeitsplätzen, Schulen, Einkaufsläden, Regierungseinrichtungen etc., wo es nur wenigen Zivilisten erlaubt ist, Waffen zu tragen.

Die Studie von Kleck, die der Schreiber zitiert, dreht sich um Vergewaltigung. In dieser Studie kommt Kleck zu dem Schluss, dass Selbstverteidigung – egal ob mit oder ohne Gewalt – signifikant die Vergewaltigung für das Opfer positiv beeinflusst. Im Gegensatz dazu führen Kooperation und „Schreien aus Angst oder wegen Schmerzen“ eher zu größeren Verletzungen. Da Vergewaltigungen selten angezeigt werden und Vergewaltigungen, bei denen sich das Opfer erfolgreich mit Waffen wehrt, noch seltener angezeigt werden, sagt Klecks Studie zu bewaffneter Gegenwehr gar nichts aus. Es stellt sich somit die Frage, ob der Huffington Autor überhaupt weiß, was er schreibt.[7]

Kleck hat übrigens nicht nur 1994 darüber geschrieben, dass Selbstverteidigung mit Waffen ein probates Mittel gegen Verbrechen ist, sondern ist immer noch der Meinung, dass privater Waffenbesitz viele Verbrechen verhindert.

Lott, der ein Verfechter des CCW (Concealed Carry Weapon bzw. verdeckte Trageerlaubnis für Kurzwaffen) ist, hat seine Liste der Public Shootings auch mit den Staaten (inkl. District of Colombia) verglichen, die dieses Recht nicht gewährten. Sowohl die Anzahl der Public Shootings als auch im Vergleich zur Einwohnerzahl. Bis auf das Jahr 1980 wurden im beobachten Zeitraum in den Staaten mit dem Recht auf CCW weniger Public Shootings pro 100.000 Einwohner durchgeführt als in den Staaten ohne dieses Recht. Dies änderte sich auch in den Jahren 1996 und 1997 nicht, wo die Anzahl der Staaten mit diesem Recht erstmals höher war. (28 zu 23 im Jahr 1996 und 31 zu 20 im Jahr 1997).

Lott-public shootings 1977-1997 CCW
Lott: Public Shootings im Verhältnis zu Waffen-Trage-Lizenzen

Wenn man berücksichtigt, dass mittlerweile fast alle Staaten dieses Recht eingeführt haben, ist es nicht verwunderlich, dass es weniger statt mehr Public Shootings gibt und seit Jahren die Mordraten in den USA zurückgehen.

Vielleicht überwindet sich das FBI und stimmt der NRA-Aussage doch noch zu: „The only thing that stops a bad guy with a gun is a good guy with a gun.

Die Aufforderung, sich – weil die Polizei zu spät eintrifft – unbewaffnet dem Attentäter in den Weg zu stellen, was einigen dieser selbstlosen Menschen das Leben kostete, kann jedenfalls nicht die beste Option sein, egal wie toll die Huffington Post das findet.

[1] FBI: A Study of Active Shooter Incidents in the United States between 2000 and 2013

[2] Time: Why the FBI Report That Mass Shootings Are Up Can Be Misleading

[3] John R. Lott, Jr. : The Bias Against Guns (Seite 106 ff.)

[4] Katja Triebel: Medien-Blackout: Oregon-Arkaden-Schütze wurde durch einen bewaffneten Bürger gestoppt

[5] Wikipedia: Clackamas Town Center shooting

[6] Huffington Post: New FBI Report Casts Doubt on NRA’s ‚Good Guy Stops Bad Guy‘ Nonsense

[7] Gary Kleck and Jongyeon Tark:  The Impact of Victim Self Protection on Rape Completion and Injury

11 Gedanken zu “Same procedure….. : FBI Statistik von den Medien falsch interpretiert

  1. Nun ja, die „Süddeutsche“ ist nun wiklich ein gutes Beispiel der von keiner Fachkenntnis getrübten Propagandisten was die Verbreitung hoplophoben Unfugs angeht.

    So lange bei dem Thema Meinungsstärke vor Fakten geht, wird das auch so bleiben;zumal man nun auch keine kritischen Kommentare mehr bei der SZ direkt loswerden kann.

    Auch aus pol. Sicht enthält dieser Übersichtsarbeit des FBI, eher ein „Schnellschuss“, nichts neues für die Gefahrenabwehr:

    -Meist auffällige deviant strukturierte Einzeltäter suche sich weiche Ziele für den großen Abgang.
    -Es werden täterseitig bewußt Örtlichkeiten gewählt, bei denen Entkommen fast unmöglich ist und es wird auf kurze bis kürzeste Distanzen geschossen.
    -Schon der geringste Widerstand beendet meist das Mehrfachtötungsdelikt mit einem Suizid des Täters.
    -Nur massive Gegenwehr unmittelbar nach Deliktbeginn kann die Gesamtzahl der Geschädigten begrenzen.

    Was die Presse daraus macht, na nur gut das wir auf solche „Schreibtischtäter“ für die Gefahrenabwehr nicht angewiesen sind!

    Peter

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