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Verfassungsschutzbericht 2019

Seit Jahren wird der Verfassungsschutzbericht mit der Information verkündet, dass die Gefahr von Rechts diejenige sei, die die Sicherheit am stärksten bedrohe. So auch dieses Jahr, obwohl es den höchsten Anstieg mit 40% bei den Straftaten der Linksextemisten gab, in Berlin sogar um 100%.

Ein so rasanter Anstieg müsste sich eigentlich in den Schlagzeilen finden. Doch weit gefehlt. Man muss schon mit der Lupe suchen, um solch eine Schlagzeile wie im Tagesspiegel zu finden:

Gefahr durch linke und rechte Extremisten

Rechtsextremisten plus 30, linke Straftaten plus 40 Prozent

Die Zahl der Rechtsextremisten ist 2019 um 30 Prozent auf rund 32.000 gestiegen, auch weil der Verfassungsschutz Mitglieder des „Flügels“ der AfD und der Jugendorganisation hinzuzählt. Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ist parallel um 15 Prozent gesunken.

Die Zahl der Linksextremisten ist höher, 33.500. Als gewaltbereit gelten 9200. Links ist auch der höhere Zuwachs an Straftaten zu verzeichnen, plus 40 Prozent. Bei den 2019 begangenen Gewalttaten liegen die Linksextremisten (1052) ebenfalls vor den Rechtsextremisten (925). Bei beiden sind es freilich etwas weniger schwere Gewalttaten als 2018.

Tagesspiegel vom 10.07.2020: Die rote und die braune Brille

30% mehr Rechtsextremisten

Es ist kein Wunder, wenn der Verfassungsschutz die 7000 vermeintlichen Anhänger des „Flügels“ und die 1600 Mitglieder der Jugendorganisation der AfD als Verdachtsfall neu einordnet, dass die Zahl der beobachteten Rechtsextremisten um 30% ansteigt. Am Risiko hat sich dadurch nichts zum Vorjahr geändert, aber es hört sich so schön dramatisch an.

Würde der Verfassungsschutz – neben den 4000 Mitgliedern der LINKEN, die als Verdachtsfälle zählen (ich berichtete) – auch deren Jugendorganisation  linksjugend [’solid] mit ihren 22.500 Mitgliedern beobachten, dann hätten wir plötzlich über 50.000 Linksextremisten in Deutschland.

Rechtsextremismus die größte Gefahr?

Im Gegensatz zum Tagesspiegel sehen die Berichte von Zeit, Welt, Deutschlandfunk, sowie der Verfassungschef Haldenwang und IM Seehofer den „Rechtsextremismus als die größte sicherheitspolitische Herausforderung für unser Land.“ Als Beweis dienen der „Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke und das Anschlagsgeschehen in Halle (Saale).“ Im Vorwort wird der 40 % Anstieg von Straftaten der Linksextremisten nicht einmal erwähnt. Auch die Morde in Hanau werden im Bericht und Vorwort nicht erwähnt, da dieser erst 2020 verübt wurde. Doch die Medien und die LINKE weisen natürlich darauf hin.

Gewaltdelikte

Ja, die Morde in Kassel, Halle und Hanau waren abscheulich und – zum Glück – Einzelfälle. Diese Morde werden dem rechtsextremen Lager zugeordnet. Bei dem Mord an Lübcke ist das definitiv der Fall. In Hamm und Hanau habe ich da aber meine Zweifel. Hanau war die Tat eines psychisch kranken Menschen und Hamm war m.E. die Tat eines Incels (ungewollt zölibatären Mannes), der seinen Hass auf Frauen und Homosexuelle – gemixt mit „white supremacy“ Kontext – zunächst an einer jüdischen Gemeinde ausleben wollte, dann aber eine deutsche Frau und einen Ausländer ermordete.

Aber auch jeder Mord aufgrund von „religiös motivierter Gewalt“ an Frauen durch Männer, die unser Weltbild nicht teilen, ist abscheulich. Doch finden sich diese nicht in der Statistik als politisch motivierte Gewalt, sondern werden als „Beziehungsdrama“ verniedlicht oder als „Triebtat„. Gleiches gilt für die Gewalt, die von „Großfamilien“ gegen die „Systemmitarbeiter“ in Krankenhäusern, gegen Feuerwehrleute und Polizisten ausgeübt wird oder gegen Männer auf offener Straße. Auch das Tötungsdelikt an dem Deutschen in Chemnitz kommt nur im Kontext mit Rechtsextremismus im Bericht vor. Bei den „Gewalttaten mit religiös-ideologischer Motivation“ gibt es in der Statistik nur einen Tötungsversuch – aber kein Tötungsdelikt. Ich mache mich eventuell schon „rechts“ verdächtig, wenn ich diese Tat überhaupt erwähne.

Glaube nie einer Statistik, die ….

Von den über 21.290 Straftaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund sind fast 14.000 Propagandadelikte und über 5000 Volksverhetzung, d.h. ca. 90% sind Delikte, die kaum jemand anderes als Rechtsextremisten begehen können oder die ihnen als „False Flag“ zugeordnet werden. So landet jede Hakenkreuzschmiererei in dieser Rubrik, auch wenn der Verursacher gar nicht bekannt ist.

Propagandadelikte gibt es bei den anderen Extremisten nicht, weil deren Symbole nicht verboten sind. Volksverhetzung kam bei den Islamisten angeblich nur 16 mal vor, bei Linksextremisten und ausländische Ideolgie gar nicht. Auch weichen die Zahlen der PPK Berlin von denen des BKA ab. Eventuell trifft das auch für andere Bundesländer zu.

Während das Bundesinnenministerium für 2019 und 2018 von 205 beziehungsweise 96 linksextremistischen Gewalttaten spricht, sind es in der Statistik der Berliner Polizei 257 beziehungsweise 290.

rbb24 vom 09.07.2020 Gewalt von Extremisten nimmt vor allem in Berlin zu

Auch bei den Gewaltdelikten, insbesondere bei antisemitische Angriffe, ist die Einordnung nicht sicher. Die jüdische Allgemeine kritisierte hier z.B. die Erfassung in der PKK Berlin:

In der aktuellen Anfrage ging es nun um die Zahl der antisemitischen Fälle ohne erkennbare rechtsextreme Motive. Das waren laut Senat 191. So bleiben nur 133 Taten mit klaren rechtsextremen Motiven übrig – obwohl in der Kriminalstatistik 253 Fälle dazu stehen. Für die Differenz von 120 Taten sind keine Motive bekannt – trotzdem gilt die Kategorie »rechts«. In den vergangenen Jahren hatte es bereits eine Debatte über die Zuordnung gegeben. Bei Umfragen unter Juden in Deutschland, die Opfer von antisemitischen Taten wurden, wurden demnach bei 62 Prozent der Beleidigungen und 81 Prozent der körperlichen Angriffe muslimische Personen als mutmaßliche Täter angegeben.

Jüdische Allgemeine vom 08.05.2019: Kritik an Polizeistatistik

Gewaltdelikte im Vergleich 2019

Auch wenn die statistische Zuordnung nicht genügend gesichert ist, auch wenn Gewaltdelikte (insbesondere an Frauen) nicht als politisch motivierte Gewalt benannt werden, sollte man sich die Gewaltdelikte der einzelnen Gruppen genauer anschauen.

Delikt PMK-
rechts
PMK-
links
PMK-
religiös
PMK-
Ausland
Tötungsdelikt 2 0 0 0
Versuchte Tötung 5 2 1 0
Körperverletzung 781 355 32 144
Brandstiftung 6 164 4
Sprengstoffexplosion 2 8 1
Landfriedensbruch 8 72 16
Eingriff in Verkehr 5 45 1
Freiheitsberaubung 1 2 0
Raub 13 16 1
Erpressung 36 3 2
Widerstand 66 254 79
Sexualdelikt 0
andere Gewalttaten 8  
gesamt Gewaltdelikte 925 921 41 248
Sachbeschädigung 923 3520 11 164
Nötigung/Bedrohung 376 116 32 32
Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat 63
Mitgliedschaft/Unterstützung ausländischen terroristischen Verein. 64 32
Gewaltorientierte Extremisten 13.000 9.200 >25.000 28.820
Quelle: Verfassungsschutzbericht 2019

 

2.017 (2018: 1.244) Straftaten mit einem extremistischen Hintergrund wurden ohne Zuordnung zu einem bestimmten Phänomenbereich gemeldet.

Quelle: Verfassungsschutzbericht 2019

Die Übersicht zeigt, dass Rechtsextremisten absolut womöglich die höchste Zahl an Gewalttaten mit Personenschäden verursachen. Da 2000 Strafdelikte nicht zugeordnet werden können und der Abstand zu den Delikten der Linksextremisten gering ist, ist m.E. die Einordnung als „höchste Gefahr“ nicht korrekt. Dies auch, weil die Behörden 63 staatsgefährdende Gewalttaten verhindern konnten und es somit zum Glück keine Tötungsdelikte oder versuchte Tötungsdelikte durch Islamisten gab.

Die Gewaltdelikte von Rechtsextremisten gingen um 15% zurück, die der Linksextremisten sank um 8,8%. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten stieg jedoch insgesamt um um 39,5 %, insbesondere bei Brandstiftung, Sachbeschädigung, Nötigung/Bedrohung und „andere Straftaten“. „Zahlreiche verletzte Personen und ein geschätzter Sachschaden in dreistelliger Millionenhöhe sind die Folgen linksextremistischer Straf- und Gewalttaten in Deutschland 2019“.

Auch wenn die absolute Anzahl der politisch motivierten Gewaltdelikte von Islamisten und ausländischen Extremisten niedriger ist, ist sie anhand des Bevölkerungsanteils überproportional stark vertreten. Das kann man im Verfassungsschutzbericht nicht herauslesen. Es sieht aber so aus, als ob der Verfassungsschutz diese Szene stärker beobachtet als die anderen.

Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/ralf-steinberger/45061374505/

6 Gedanken zu “Verfassungsschutzbericht 2019

  1. Aus politischen Gründen darf der Inlandsgeheimdienst (Verfassungsschutz) seine Aufgaben nicht unvoreingenommen wahrnehmen. Spätestens seit dem Rauswurf von Hans-Georg Maaßen im September 2018 dürfte jedem klar sein, dass auch der VfS der politischen Korrektheit Genüge zu tun hat. Das bedeutet, dass alles, was links ist, gut ist und alles was rechts ist, böse ist. Dementsprechend muss man den Verfassungsschutzbericht lesen. Dadurch verliert er natürlich sehr an Glaubwürdigkeit. Boris Reitschuster und Tichys Einblick haben sich kritisch mit dem Verfassungsschutzbericht 2019 auseinandergesetzt:
    https://www.reitschuster.de/post/rechts-extremismus-wie-politik-und-medien-seit-jahren-tricksen

    https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/alexander-wallasch-heute/verfassungsschutzbericht-nuechterne-zahlen-und-propaganda-delikte/

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    • Zwei sehr interessante Artikel. Reitschuster schreibt u.a.: >>Hochinteressant und spannend ist, was dazu Prof. Dr. Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder, die sich beide vormals selbst zum linken Milieu rechneten, in einem jüngst veröffentlichten Buch schreiben.
      – 2018 fand sich bei Google-Treffern ein Verhältnis der Trefferzahl Rechtsextremismus (ca. 9 Millionen) versus Linksextremismus (ca. 653.000) von 15:1.
      – Bei ARD fanden sich 2018 insgesamt 53 Treffer über Linksextremismus, 444 über Rechtsextremismus.
      – Im „Karlsruher Virtuellen“ Katalog mit seinen neun Verbundkatalogen öffentlicher Bibliotheken gab es 15.000 Suchergebnisse für Rechtsextremismus und 640 für Linksextremismus.
      – In der Bibliothek der „Freien Universität“ Berlin hat man im Katalog über 1000mal Treffer zu Rechtsextremismus, 36 zu Linksextremismus (Faktor: 28)

      Bei Linken sind es „Rangeleien“ und „Zusammenstöße“, bei Rechten sind es „Hetzjagden“. Linke „skandieren Parolen“, Rechte „brüllen und grölen“. Rechte „marschieren“, Linke „demonstrieren“. Rechte „werfen Böller“, bei Linken „flogen Steine“ (flogen – von selbst).<<

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  2. Eine interessante Analyse. Leider stimmen auch die Stimmungs-Beschreibungen.
    „Ich mache mich eventuell schon „rechts“ verdächtig, wenn ich diese Tat überhaupt erwähne.“
    Aus diesem Grund werde ich mich jetzt bei der oeffentlichen Kommentierung sehr zurueckziehen.

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    • Es gibt ein ganz aktuelles und sehr interessantes Interview mit Hans-Georg Maaßen, das er einem 18-jährigen (!) Schüler gegeben hat.

      Bei Minute 15:42 kommt die Frage, was denn der Verfassungsschutz so alles macht und wer von ihm beobachtet wird. Laut Maaßen muss man schon ein ziemlich harter Bursche sein, bis man beobachtet wird.

      Ich denke, die zunehmende Angst der Menschen vor Institutionen wie dem Verfassungsschutz hat eher etwas zu tun mit einer unterschwelligen und auch realen Angstkampagne seitens der Mainstreammedien und der Altparteien (z.B. Netzwerkdurchsetzungsgesetz), die versuchen, jeden in die Nazi-Ecke zu schubsen, der es wagt, ihre linke Politik zu kritisieren.

      Sicher, die Meinungsfreiheit, die wir in der Bonner Republik genossen haben, haben wir nicht mehr, aber abgeschafft ist sie definitiv noch nicht. Gegenwärtig kann ich mir (noch) nicht vorstellen, dass man vom Verfassungsschutz beobachtet wird, weil man hier oder bei der GRA einen kritischen Kommentar veröffentlicht.

      Wir werden unsere Grundrechte jedenfalls sicher nicht durch Schweigen wahren. Die Freiheit ist keine Gratisgabe. Sie muss vielmehr jeden Tag auf‘s neue verteidigt und eingefordert werden.

      Hier geht es zum Interview: www youtube.com/watch?v=dxH6nONtUFo

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  3. Roland Tichy hat kürzlich ein interessantes Gespräch mit Hans-Georg Maaßen geführt:

    0:36 – Über die Polizei
    Wie Roten und die roten Grünen die Polizei absichtlich diskreditieren, um den Staat zu destabilisieren (eine klassische linke Strategie).

    18:40 – Über die Bundeswehr
    Über die Bundeswehr und ihr angebliches Problem mit Rechtsextremismus; Die Abschaffung der Wehrpflicht war keine gute Idee. Die BW, insbesondere ihre bürgerlichen Strukturen, sollen diskreditiert, ihre Verteidigungsfähigkeit herabgesetzt werden.

    22:35 – Über das Verhältnis zu den USA

    27:35 – Über Das Verhältnis zu Russland
    Russland hätte gerne ganz Europa als seine Einflusssphäre

    29:23 – Über China: Die Abhängigkeit Deutschlands von China ist bereits zu groß. Hunderttausende von Arbeitsplätzen hängen bereits am Export nach China.
    Eine Beteiligung Huaweis am Aufbau von 5G in Deutschland wäre fatal.

    34:00 – Wie konnten die Floyd-Protest auf Deutschland übergreifen?
    Maaßen: Es muss ein riesiges (linkes) Netzwerk vorhanden sein muss, um solche Demonstrationen in fast schon globalem Ausmaß organisieren zu können. Die Linke ist seit den 1970ern international vernetzt. Über ein Verbot der Antifa sollte man nachdenken. Die Finanzierung der Antifa erfolgt vermutlich über private Quellen.

    40:37 – Was kann man unternehmen?
    Maaßen: Es gibt kein Patentrezept. Vorschläge:
    (1) Den Mut haben, das aussprechen, was man sieht.
    (2) Den Linken die Maske abziehen, ihre Schandtaten, gegenwärtige wie vergangene, öffentlich machen.
    (3) Die Verantwortlichen in Deutschland müssen sich ihrer Verantwortung endlich bewusst werden. Es reicht nicht, unter vier Augen die Missstände zu benennen. Man darf nicht einknicken, wenn ein Mikrofon ins Spiel kommt. Wir sollten an unsere Vergangenheit denken! Wo ist die Zivilcourage? Wo sind die Vorbilder?

    https://www.tichyseinblick.de/video/interview/interview-hans-georg-maassen/

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