Können Waffenverbote und Waffenkontrollen Gewalt verhindern?

Anhand von wissenschaftlichen Daten aus dem In- und Ausland habe ich die Argumente für die folgenden Fragen zusammengetragen, sowie eine Auswertung und mehrere Lösungsvorschläge verfasst.

Können Waffenverbote und Waffenkontrollen Gewalt verhindern?

Wissenschaftler aus dem In- und Ausland belegten anhand von Studien und Statistiken, dass Waffenverbote keinen positiven Effekt auf die Gewaltkriminalität haben.[1] Gesetzestreue Bürger werden durch den Besitz von Waffen nicht zur Gewalt verführt.[2] Rechtsbrecher kümmern sich nicht um Verbote; sie besorgen sich ihr Tatmittel illegal oder ersetzen es, z.B. durch Messer, Brenn- oder Explosivstoffen.[3] Doch wie sieht es in Deutschland aus? Helfen Verbote, um Gewalt zu verhindern?

Können Waffenverbote Amokläufe verhindern?

Kriminologen auf der ganzen Welt, und seit einigen Jahren auch in Deutschland, untersuchen intensiv das Phänomen Amoklauf. „Während in früheren Zeiten bei der Tatausführung traditionelle Klingenwaffen verwendet wurden, die jeder besaß, so werden heute unter anderem Schusswaffen, Handgranaten und auch Fahrzeuge eingesetzt. […] Ein Amokläufer, der leichten Zugang zu Waffen hat,[…] wird sicher eher Schusswaffen verwenden als jemand, der im Alltag kaum an eine Waffe gelangen kann.“(Scheithauer & Bondü)[4] So stellten Schmidtke et al. (2002) einen überraschend hohen Anteil von Berufswaffenträgern bei den Amokläufern fest, nämlich 26% Soldaten und 7% Polizisten.

„Maßnahmen, die sich allein auf gesetzliche Vorgaben berufen, scheinen somit nicht geeignet, um Amokläufer bzw. School Shootings zu verhindern, sie können einen Erwerb oder den Zugang zu den Waffen allenfalls erschweren. Der illegale Erwerb […] scheint zudem kaum kontrollierbar sein. Somit gilt es vor allem, bei der möglichen Tat selbst sowie bei den möglichen Tätern und ihrem sozialen Umfeld anzusetzen, um weiteren Taten vorzubeugen.“ (Scheithauer & Bondü)[5]

Der Zugang zu Waffen ist nur eine von vielen Komponenten, jedoch nicht der Auslöser, da das Tatmittel – wie auch bei Beziehungstaten – zweitrangig ist. Die hohe Präferenz von Schusswaffen hat nichts mit deren Letalität zu tun. Massentötungen mit Brand- und Explosivstoffen wären wesentlich „effektiver“, was die Opferzahl angeht, insbesondere, wenn die Tat in geschlossenen Räumen, wie Klassenräumen, Flugzeugen oder Kinos ausgeübt wird.

40% der Amokläufe finden innerhalb von zehn Tagen nach aufwändiger Medienberichterstattung statt (Nachahmungstat bzw. „Werther-Effekt“). Die Täter wollen Helden sein, sie wollen in die Medien, als Herrscher über Tod oder Leben wirken, etwas darstellen und Aufmerksamkeit bekommen („Ikonosierung“).[6] Dafür riskieren sie ihr eigenes Leben und nehmen den Tod vieler Unschuldiger in Kauf. Oft bereiten sie sich viele Monate oder Jahre auf ihre Tat vor. Die aufwändige Berichterstattung ist somit nicht der Grund für die Tat, sondern eher Katalysator, der den Zeitpunkt der Tat und auch ihren Ablauf (Nachahmung mit Schusswaffen) mitbestimmt.

Der Einsatz von Schusswaffen ermöglicht eine vorab geplante Inszenierung inklusive Opferauswahl und garantiert hohe Medienpräsenz. Bei Explosionen und Bränden würden zwar mehr Menschen sterben, aber der Medienrummel wäre kleiner, der Täter könnte die Effekte schlechter kontrollieren und er hätte keine machtvolle Auswahl der einzelnen Opfer. Präventionsforscher empfehlen aus diesen Gründen Presseberichtsverbote, um die Ikonosierung des Täters zu verhindern.[7][8]

Können Verbote von bestimmten Waffentypen die Auswirkungen von Gewalt reduzieren?

Die meist genutzten Schusswaffen bei kriminellen Delikten und Amokläufen sind großkalibrige Kurzwaffen. Die Annahme, dass bei einem weltweiten Verbot dieses Waffentyps weniger Menschen sterben müssen, hört sich plausibel an.

Der Kriminologe Gary Kleck widerlegte bereits 1993 diese Annahme in seinem preisgekrönten Buch „Point Blank“, das auch von Waffenkontrollbefürworten als einwandfrei begutachtet wurde, auch wenn sie seine Schlussfolgerungen nicht mögen.

Kleck ordnete die Waffentypen anhand ihrer Letalität.[9] Langwaffen sind die tödlichsten Waffen, da ihre Geschosstypen schwerste Verletzungen verursachen und man auf kurze Entfernung nur unkontrollierte Schüsse abgeben kann. Kurzwaffen sind kontrollierbare Nahkampfwaffen. Die Schussverletzungen durch Kurzwaffen sind weniger tödlich als die von Langwaffen, jedoch tödlicher als die durch Messer beigebrachten Verwundungen. Die Verletzungen von Messern sind weniger gefährlich als die von Schusswaffen. Bei Gewaltdelikten mit Messern bleibt es jedoch selten beim Drohen, stattdessen überwiegen die Attacken. Bei 50% aller Gewaltdelikte mit Schusswaffen, werden diese nur zum Drohen eingesetzt. 80% der mit Schusswaffen abgegebenen Schüsse gingen lt. einer US-amerikanischen Studie am Opfer vorbei.

Klecks Schlussfolgerungen ergaben:[10]

  • Werden Kurzwaffen verboten, weichen Kriminelle auf Langwaffen oder Messer aus. Beide Substitute würden zu mehr Verletzten und Toten führen, da die Verwendung von Langwaffen gefährlicher ist und die von Messern häufiger zu einem Angriff mit Verletzungen führen.
  • Kurzwaffen werden weltweit viel häufiger zum Schutz als zum Angriff eingesetzt. Berufswaffenträger (Polizei, Zoll, Personenschützer und Wachpersonal) und auch viele gesetzestreue Bürger in den Industriestaaten nutzen Kurzwaffen zur Verteidigung bzw. Selbstverteidigung.

Warum sind bestimmte Waffentypen verboten?

Nach medienwirksamen Gräueltaten mit Schusswaffen fühlt sich die Politik verpflichtet, die Angst der Bevölkerung zu lindern. Verbote, insbesondere kurz vor Neuwahlen, kommen dabei immer gut an, scheinen sie doch eine Wiederholung der Tat ausschließen zu können.[11] Da mit Widerstand der rechtsmäßigen Besitzern zu rechnen ist, wird national meist der Waffentyp verboten, der entweder wenig verbreitet ist oder dessen Besitzer die schwächste Interessenvertretung haben.

Dies geschah 1997 nach einem Amoklauf in England beim Verbot halbautomatischer Kurzwaffen. Dort standen 162.000 Kurzwaffen ca. 2,5 Millionen Langwaffen gegenüber.[12] Dies geschah 2003 in Deutschland nach dem Amoklauf in Erfurt. Es wurde nicht die eingesetzte Kurzwaffe verboten, sondern die wegen eines Defekts nicht eingesetzte kurze Pumpflinte. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Waffentypen in rechtmäßigen Besitz lag bei mindestens bei 1 : 100.000. Zudem wurden die Altersgrenzen zum Training und Erwerb angehoben und ein psychologisches Gutachten für junge Erwachsene eingeführt. Auch wurden 2003 Wurfsternen sowie Spring-, Fall-, Faust- und Butterflymesser verboten, die keine Interessenvertretung besaßen.[13] Wegen der fehlenden „Messerlobby“ kam es 2008 gegen den Willen der GdP zudem zum Führverbot gewisser Messertypen.[14]

Es ist schwierig, nach Gräueltaten einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Neuseeländer hatten dies nach ihrem Amoklauf geschafft. Auch dort wurde über Verbote und Kontrollen nachgedacht. Letztendlich entschloss man sich, die in Verbrechen am häufigsten eingesetzten Schusswaffen stärker zu kontrollieren, verzichtete aber auf die strikte Kontrolle von deliktirrelevanten Waffentypen. Die dadurch freigehaltenen Ressourcen wurden in die Strafverfolgung gesteckt.

In Deutschland bewirken die strikten Verbote und Kontrollen nicht nur Ressourcenverschwendung, sondern führen auch zu lächerlichen Maßnahmen. So stufte das Bundeskriminalamt Badezimmer-Garderobenhaken im „Ninja-Stil“als verbotene Waffen ein und beschlagnahmten Polizisten auf Flughäfen Cluster-Handtaschen mit Schlagringverschluss. Während rechtstreue Bürger sich vor Gericht wegen des Besitzes dieser verbotenen „Waffen“ behaupten müssen, interessieren sich die Kriminellen überhaupt nicht für Verbote. Regelmäßig stellen Polizisten auch acht Jahre nach dem Waffenverbot Butterflymesser, Schlagringe und Wurfsterne bei Kriminellen sicher.

Können Waffenkontrollen Gewalttaten verhindern?

Es deutet vieles darauf hin, dass Waffenbesitz nicht zu Gewalt führt, jedoch Gewalttäter sich zu Waffen hingezogen fühlen.

Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass 40% der Gewalttäter bereits eine kriminelle Historie aufweisen und ein großer Anteil der Gewaltverbrechen unter Alkoholeinfluss begangen wird. Kontrollen, die den Zugang zu Waffen von Gewalttätern und Alkoholabhängigen verhindern, könnten daher sehr sinnvoll sein.

In Deutschland werden Schusswaffen in 0,2% aller Straftaten eingesetzt. Bei Gewaltdelikten liegt ihr Anteil bei ca. 3%. Davon stammen ca. 50% aus illegalem Besitz, über 40% sind frei verkäuflich, d.h. über 90% stammen aus unkontrolliertem Besitz. Der Anteil der bei Gewaltverbrechen eingesetzten Schusswaffen, deren Besitz vom Staat kontrolliert wird, liegt im Promillebereich.

Laut einer Studie von Prof. Heubrock und anderen europäischen Studien werden legal besessene Schusswaffen fast ausschließlich in Beziehungstaten – auch Amokläufe zählen hierzu – missbraucht. Hier stehen Täter und Opfer fest, nur das Tatmittel ist beliebig. Wäre keine legale Schusswaffe vorhanden, würde das Tatmittel ersetzt werden.[15]

Der Kriminologe Kleck hält ein generelles Verbot für ungeeignet, um Gewalttaten zu verhindern. Auch ein Waffenverbot für Gewalttäter hätte nur einen bescheidenen Erfolg. Seiner Ansicht nach ist das Gewaltproblem nur zu lösen, wenn Armut, Ungerechtigkeit und die dadurch entstandenen sozialen Probleme reduziert werden können.[16]

Eine gewagte Behauptung, die sich zwölf Jahre später für die USA[17] bewahrheitete. Eine Task Force wertete drei Jahre lang 51 verschiedenen Studien aus – rund um Schusswaffen, Kriminalität und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. 2003 musste sie zugeben, dass es keinen Nachweis gäbe, dass Waffengesetze Gewalt verhindern können. Studien in England (2008),[18] für Australien, Kanada und Neuseeland (2010)[19] und für die Niederlande, Schweden und Finnland (2011)[20] scheinen diese Behauptung ebenfalls zu belegen. Armut, Arbeitslosigkeit und Drogen haben großen Einfluss auf Gewaltdelikte mit Schusswaffen, Waffengesetze werden jedoch von Kriminellen ignoriert.

Wie wird der legalen Besitz kontrolliert?

Der Staat ist verpflichtet, Maßnahmen zu beschließen, die der Förderung der sicheren Verwendung von Schusswaffen und der Verhinderung von Missbrauch, sowie die Gefahren für die „Öffentliche Sicherheit“ wie auch der Sicherheit der Waffenbesitzer reduzieren. Wie fast alle Staaten dieser Welt kontrolliert Deutschland den privaten Besitz von Schusswaffen gleichzeitig anhand dreier Säulen: Kontrolle der Schusswaffe (was ist verboten, erlaubt, eingeschränkt?), des Erwerbers (wer erhält Zugang?) und des Zwecks zum Besitz (warum erhält man Zugang?) In Deutschland wurde bereits 1972 ein Waffengesetz eingeführt, das die Bedingungen des 2001 verabschiedeten internationalen Feuerwaffenprotokolls erfüllte:

  • Alle Schusswaffen müssen gekennzeichnet werden und wurden 1972 registrierpflichtig.
  • Waffenhersteller und -händler werden seitdem überprüft und müssen Waffenbücher führen.
  • Die Erwerber müssen zuverlässig und volljährig sein, Sachkunde besitzen und einen Bedarfsgrund angeben, um eine Erwerbserlaubnis (Waffenbesitzkarte) zu erhalten.
  • Die Besitzer werden regelmäßig und bei Verdacht überprüft.
  • Sowohl die Einfuhr als auch die Ausfuhr sind in dem Gesetz geregelt.
  • Die sichere Aufbewahrung ist seit 1972 vorgeschrieben.[21]

Das Gesetz wurde in den letzten zehn Jahren dreimal geändert. Ein Umstand, der sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch der Polizei stark kritisiert wird.[22]

Im Jahr 2002/2003 wurden die Anforderungen an die Zuverlässigkeit und für den Bedarfsgrund angehoben. Zudem wurden die jährlichen Erwerbsmengen für Sportschützen beschränkt. Auch wurden 2002 eine Tresorpflicht, sowie eine Blockierpflicht für Erbwaffen eingeführt.

Aufgrund der Amokläufe von Erfurt und Winnenden, kam es zu weiteren Verschärfungen. Die Altersgrenzen zum Schießen generell und zum Erwerb von Großkaliberwaffen wurden erhöht. Seit 2009 können Schützen und Jägern, die nicht mehr aktiv sind, die Waffen entschädigungslos entzogen werden. Legale Waffenbesitzer müssen zudem anlasslose Hauskontrollen akzeptieren. [23][24] Obwohl der Gesetzgeber diese Hauskontrollen für die öffentliche Sicherheit nicht kostenpflichtig vorsah,[25] nutzen einige Bundesländer mit eigener Kostenregelung dies, um gebührenpflichtig den Waffenbesitzstand zu verringern.[26]

Für die Kontrolle dieses delikt-irrelevanten Promillebereichs wenden Staat und die rechtmäßigen Besitzer mehrere Millionen Euro pro Jahr auf, zudem wird das geplante Nationale Waffen Register 50 bis 100 Millionen Euro bei seiner Installation kosten zuzüglich der noch unbekannten jährlichen Betriebskosten.

Wie sieht es bei illegalen und Freien Waffen aus?

Es gibt kaum nationale oder internationale Anstrengungen, den illegalen Besitz zu reduzieren.

„Grauer Markt“

Im Gegensatz zum Schwarzmarkt, der Kriminellen den Zugang zu Waffen ermöglicht, die diese aktiv für Straftaten nutzen wollen, existiert ein „grauer“ Markt aus Altbesitz, Fundwaffen, Erbstücken und Waffen, die durch eine Gesetzänderung illegal wurden, wie z.B. Luftgewehre mit zu hoher Bewegungsenergie, Gaspistolen ohne PTB-Kennzeichnung, fehlerhaft abgeänderte Dekorationswaffen u.ä.[27]

Konnte man bis 2003 noch eine gefundene Waffe anmelden und diese ohne Munitionsberechtigung behalten, so muss man sie heute zur Vernichtung/Verwertung abgeben. Der unberechtigte Transport dieser Fundsache kann sogar ein Verfahren wegen Verstoß gegen das Waffengesetz nach sich ziehen. 1972 führte Deutschland die Registrierpflicht ein. Wer vor 1972 frei erworbene, nun jedoch illegale Waffen in eine Waffenbesitzkarte eintragen ließ, durfte sie behalten. Da die Besitzerlaubnis jedoch befristet war, kamen nur wenige Bürger dieser Meldepflicht nach. Erst als 1976 die Befristung aufgehoben wurde, entschlossen sich die Waffenbesitzer, über drei Millionen Waffen anzumelden. Die restlichen, nicht angemeldeten Waffen (sie werden auf 10 Millionen geschätzt) verschwanden im „grauen Markt“, aus dem sie von Zeit zu Zeit bei Tod des Besitzers oder bei Hausdurchsuchungen wieder auftauchen.

Eine dauerhafte Meldeamnestie wie 1976 für Altbesitzer und Fundwaffen würde zwar den Bestand erhöhen, aber auch die Kontrollmöglichkeit. Diese Forderung vertraten auch mehrere Sachverständige, u.a. von der Polizei und Staatsanwaltschaft, bei der Anhörung vor dem Bundestag.[28] Da viele Besitzer von „grauen“ Waffen mittlerweile ein hohes Alter erreicht haben, könnte bei Verdacht auf Demenz und/oder körperlichen Gebrechen einem möglichen Missbrauch vorgebeugt werden. Wir erleben in den letzten Jahren vermehrt Vorfälle, in denen Rentner ihre „grauen“ Waffen bei Nachbarschaftsstreiten missbrauchen.

Gewalttäter

Während legale Besitzer ohne Anlass seit 2009 Hauskontrollen erdulden müssen, gibt es kein allgemeingültiges Gesetz, das Hausdurchsuchungen bei verurteilten bzw. angeklagten Gewalttätern ermöglicht. Da über 90% der missbräuchlich verwendeten Schusswaffen aus nicht registriertem Besitz stammen[29] und über 10% der Gewalttäter bereits eine kriminelle Vergangenheit haben,[30] könnten häufiger Waffenverbote verhängt werden, und diese per Hausdurchsuchungen auch kontrolliert werden. Hierbei wäre zu untersuchen, ob bereits – wie bei den rechtstreuen Besitzern –nur bei Verdacht oder erst nach Beweis einer geplanten Straftat eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden darf.

Freie Waffen

Fast 70% der bei Straftaten sichergestellten Schusswaffen waren 2011 „Freie Waffen“, wobei die absolute Zahl mit 344 von 496 Fällen sehr gering ist. Die hohe Zahl von Drohungen mit Schusswaffen (6.113) und Fälle, bei denen geschossen wurde (5.597), sowie die Fallzahl gefährlicher und schwerer Körperverletzung, in denen geschossen wurde (947), und die hohe Aufklärungsquote von 80-96% bei Gewaltdelikten lassen vermuten, dass die meisten Tatwaffen nicht registriert waren, d.h. entweder „Freie Waffen“ oder illegale Waffen waren, und vor der Verhaftung „entsorgt“ wurden.[31]

Es gibt in Deutschland keine gesetzlichen Auflagen beim Überlassen von „Freien Waffen“ außer der Altersbeschränkung und seit 2003 eine Protokollpflicht der Händler, dass die Erwerber auf das Verbot des Führens hingewiesen wurden. In Deutschland gibt es jedoch eine noch unbekannte Anzahl von Gewalttätern, die per Urteil ein Waffenverbot erhielten, d.h. ihnen ist sogar der Zugang zu „Freien Waffen“ verboten. Kein Händler kann jedoch Informationen einholen, ob ein Käufer voll geschäftsfähig, entmündigt oder psychisch krank ist oder ein Waffenverbot hat. Die Auflage, „Freie Waffen“ nur an zuverlässige Bürger zu ermöglichen, ist praktisch nicht durchsetzbar.

2003 führte Deutschland gegen den Willen der GdP für das Führen (Tragen in der Öffentlichkeit) von Schreckschusswaffen den „Kleinen Waffenschein“ ein. Dieser kostet einmalig EUR 50,00 und wird jedem Bürger mit einwandfreiem polizeilichem Führungszeugnis auf Antrag gewährt. Dieses Gesetz wurde jedoch nicht genügend publiziert, d.h. der Bevölkerungsmehrheit ist dieses Gesetz gänzlich unbekannt. Deshalb stiegen im Jahr 2003 die Verstöße gegen das Waffengesetz bzgl. des illegalen Führens um 63% auf 626[32] und im Jahr 2004 um 365% auf 2.291[33] an und reduzierten sich erst wieder seit 2008 (1.707)[34], ohne jedoch bisher den Wert von 2002/03 zu erreichen (2010:981)[35].

Das am häufigsten verwendete Tatmittel bei Mord und Totschlag ist, neben den bloßen Händen, das Messer[36]. Auch bei anderen Gewaltdelikten werden Messer häufig eingesetzt. Der Gesetzgeber reagierte trotz Einwände der Gewerkschaft der Polizei darauf, in dem er die in kriminellen Kreisen beliebtesten Messer (Butterflymesser, Faustmesser und bestimmte Springmesser) 2003 verbot und das Führen der Substitute (Einhandmesser und feststehende Messer ab 12 cm Klingenklänge) 2008 verbot. Beide Gesetze sind der Mehrheit der Bevölkerung unbekannt. Rechtstreue Bürger, die bei Verkehrs- und Zollkontrollen durchsucht werden oder Gebäude mit Einlasskontrollen betreten, erhalten Strafanzeigen. Viele sind Ersttäter. Während Kriminelle sich nicht um die Verbote kümmern oder Teppichmesser als Substitut führen, werden viele rechtstreue Bürger unwissentlich kriminalisiert. Die Fallzahlen des illegalen Besitzes haben sich in den Jahren 2003 bis 2010 kaum verändert, obwohl seit 2003 und 2008 eine Vielzahl von Waffen verboten wurden, wodurch eigentlich mit enormen Steigerungen zu rechnen wäre. (2001: 3120, 2003: 3295, 2005: 2895, 2007: 3475, 2009: 2789).[37]

Fazit

Das Waffengesetz in seiner aktuellen Form wirkt auf „Freie Waffen“ wie folgt:

  • kriminalisiert jeden unwissenden Bürger (Verbote, Führverbote: s.o.)
  • ermöglicht den Zugang für Gewalttäter mit Waffenverboten (s.o.)
  • verbietet bestimmte Waffentypen ohne wissenschaftliche Studien (Springmesser u.ä.)
  • erhöht den Verwaltungsaufwand (z.B. Accessoires fallen unter das Waffengesetz)[38][39]

Das Waffengesetz in seiner aktuellen Form wirkt auf Schusswaffen wie folgt:

  • aufwändige Kontrollen aller legalen Besitzer ohne Abgrenzung der Waffentypen nach Deliktrelevanz (z.B. Registrierpflicht von Einzelladern)
  • fehlende Durchsetzung der geschriebenen Gesetze (z.B. sichere Aufbewahrung)[40]
  • schwammige Gesetzestexte führen zu unterschiedlichen Auslegungen durch die Sachbearbeiter und Gutachter (fehlende Rechtssicherheit)[41]
  • vermisst Maßnahmen bzgl. psychologischer Kriterien (Demenz, Medikamention) (s.u.)
  • erschafft Abdrift in den „grauen Markt“ (s.o.)
  • mit viel Aufwand wird alles Mögliche unternommen, um den legalen Besitz zu reduzieren
  • mit sehr wenig Aufwand wird versucht, den illegalen Besitz zu verringern

Mögliche Lösungen

Abhilfe könnte eine große Aufklärungskampagne oder Rücknahmen einiger Verbote oder neue Auflagen beim Erwerb oder alles zusammen schaffen.

Wenn z.B. die Bürger beim Aushändigen eines Personaldokuments gleich eine Erwerbserlaubnis für „Freie Waffen“ erhielten und die Führverbote entfielen, hätten Kriminelle mit Waffenverboten weniger Möglichkeiten Messer und Freie Waffen zu kaufen, während rechtstreue Bürger weniger Gesetzesverstöße begehen würden.

Wenn durch Medienkampagnen oder auch an der Staatsgrenze durch Informationshinweise die Bevölkerung über verbotene Waffen aufgeklärt wäre, gäbe es weniger Verstöße bei den Zollkontrollen nach dem Urlaub.

Waffentypsverbote, wie die von Butterflymessern, Ninja-Wurfsterne u.ä. erfolgten nicht durch die belegte Gefährlichkeit in europäischen Studien, sondern durch nationale Einzelmaßnahmen nach historischen Verbrechenshäufigkeiten oder mittels Ideologie. Eine EU-Harmonisierung mittels Studien und deren Umsetzung in nationales Recht mit einer Aufklärungskampagne könnten dazu führen, dass diese Verbote in der Mehrheit der Bevölkerung bekannt wären und auch beachtet würden.

Dies würde auch die Transitreisen für legale Schützen und Jäger mit einem Europäischen Feuerwaffenpass erleichtern. Aktuell kann man von Deutschland nach Italien nicht durch Österreich fahren, sofern man bei einem Wettkampf eine Vorderschaft-Repetierflinte benutzen will, da diese in Österreich verboten ist, jedoch nicht in Deutschland und Italien. Ähnliche nationale Mini-Verbote gibt es in fast jedem EU-Land.

Das aktuelle Waffengesetz geht von der unbelegten Annahme[42] [43] [44]aus, dass der Besitz von Waffen zu Gewalt führe und schränkt daher mit hohem Aufwand und Kosten den legalen Besitz ein und kriminalisiert gesetzesunkundige Bürger, während wenig für die Prävention von Gewaltdelikten getan wird. Letzteres würde eine teure Armutsbekämpfung und arbeitsintensive, grenzüberschreitende Zusammenarbeit bedeuten. Kosten, die nur wenige Länder auf sich nehmen. „Eine Gesetzesverschärfung kostet lediglich das Papier, auf das sie gedruckt wird.“ (Waffenrechts-Experte der Gewerkschaft der Polizei im Mai 2009)[45]

Auch wird weder die demoskopische Komponente (Demenz, Pflegebedürftigkeit u.ä.) durch das Gesetz beachtet, noch die psychologische Komponente (Psychopharmaka, Details der psychologischen Gutachten u.ä.)

Es gibt z.B. keine Möglichkeit das „Erbenprivileg“ noch zu Lebzeiten des Besitzers an einen Erblasser zu übertragen. Der rechtmäßige Besitzer muss seine hochwertigen Waffen trotz Demenz und/oder Pflegebedürftigkeit bis zu seinem Tod behalten, ansonsten werden sie eingezogen und vernichtet. Von daher ist anzunehmen, dass die Besitzer und die am Erbe interessierte Familienmitglieder eventuelle Zweifel an der Zuverlässigkeit verschweigen. Auch scheint die Blockierpflicht für Erbwaffen nur auf Veranlassung eines Lobbyisten eingeführt worden sein.[46]

Es gibt keine Evaluierung für den Einfluss von Psychopharmaka auf die Empathiefähigkeit eines Patienten oder inwieweit einige Medikamente die Zuverlässigkeit beeinflussen könnten.

Auf der anderen Seite gibt es keine Regelungen, wie ein psychologisches Gutachten[47] aussehen muss, um die Zuverlässigkeit nachzuweisen, falls das Gericht diese anzweifelt oder ein Antragssteller unter 25 Jahren eine großkalibrige Kurzwaffe erwerben will. Hier erhalten die Behörden und Richter zu viel Ermessungsspielraum bei der Beurteilung der vorgelegten Gutachten.

Quellendetails:

  • Braun, Dr. Stefan, ist als Regierungsdirektor stellvertretender Leiter des Referats Recht, Forschung beim Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg.
  • Dicke, Wolfgang, war Waffenrechts-Experte der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
  • Greenwood, Colin, war Superintendent der Britischen Polizei, ist Firearms Consultant der britischen Regierung seit 1980 (UK).
  • Henning, Prof. Dr. Ernst Müller, ist Universitätsprofessor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der FU Berlin.
  • Heubrock, Prof. Dr. Dietmar, ist Dipom-Psychologe und Sprecher des Instituts für Rechtspsychologie der Universität Bremen.
  • Kates, Don B., ist ein ehemaliger US-amerikanischer Professor für Verfassungs-und Strafrecht, Kriminologe und Research Fellow des Independent Institute in Oakland, Kalifornien (USA).
  • Kleck, Gary, ist Professor an der School of Criminology and Criminal Justice an der Florida State University in den USA. Im Jahr 1993 gewann er den Michael J. Hindelang Award der American Society of Criminology für sein Buch Point Blank mit der Begründung, es sei seit drei Jahren der beste Beitrag zur Kriminologie (USA).
  • Mauser, Gary, ist ein emeritierter Professor an der Fakultät für Betriebswirtschaft und dem Institut für Städtebau an der Simon Fraser University in Burnaby, British Columbia (CA).
  • Robertz, Frank J., Dr. phil., Dipl.-Kriminologe, Dipl.-Sozialpädagoge gründete gemeinsam mit Kollege das interdisziplinär orientierte Institut für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie (IGaK) in Berlin, nachdem er zuvor einige Jahre Lehraufträge an der Universität Hamburg und verschiedene Forschungsarbeiten für Hamburger Behörden durchgeführt hatte.
  • Patterson, Richard ist Managing Director of the Sporting Arms and Ammunition Manufacturers’ Institute Inc. (SAAMI) in den USA
  • Scheithauer, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Herbert, ist Universitätsprofessor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie der FU Berlin
  • Squires, Peter, ist Professor für Kriminologie und Public Policy an der University of Brighton (UK).

[1] ISEC-Studie 2011: Homicide in Finland, the Netherlands and Sweden : “There seems not to be any clear correlation between firearm ownership (at least legal firearm ownership) prevalence and homicide rates in Europe (Granath 2011; Kivivuori & Lehti 2010)”.(p. 30)

[2] Don B. Kates (et al), 1994, Guns and Public Health: Epidemic of Violence or Pandemic of Propaganda?“, Tennessee Law Review, pp 9-10

[3] Gary Kleck, 1991, Point Black, Library of Congress , pp 91-95

[4] Herbert Scheithauer und Rebecca Bondü, 2011, Amoklauf und School Shooting, Vandenhoeck, pp 105-108

[5] ebenda

[6] Frank J. Robertz et al., 2010, Der Riss in der Tafel, SpringerMedizin, pp 93-106

[7] Frank J. Robertz et al., 2010, Der Riss in der Tafel, SpringerMedizin, pp 99-101

[8] Prof. Dr. Henning Ernst Müller, 2012, Kein Podium für ruhmsüchtige Attentäter, Legal Tribune

[9] Gary Kleck, 1991, Point Black, Library of Congress , pp 91

[10] Gary Kleck, 1991, Point Black, Library of Congress , pp 153-203

[12] Colin Greenwood, 2010, ‘Outlawing guns a mistake’, Online-Kommentar

[16] Gary Kleck, 1991, ‘Point Black’, Library of Congress , p 445

[17] Centers for Disease Control and Prevention, 2003, Auswertung von 51 Studien zur Waffenkontrolle

[19] Samara McPhedran et al, 2010, Firearm Homicide in Australia, Canada, and New Zealand

[21] Waffengesetz 1972, Bundesgesetzblatt online

[31] ebenda

[36] Todesursache 2010: Y85-Y09 Tätlicher Angriff ( X99 scharfer Gegenstand)

[43] Don.B.Kates, 2007, Would Banning Fireams reduce Murder an Suicide? Harvard Journal of Law & Public Policy [Vol. 30]

[46] Lobbying für Waffenrechtsverschärfungen, 2011, Auswertung einiger Internetresearchs

9 Gedanken zu “Können Waffenverbote und Waffenkontrollen Gewalt verhindern?

    • Das AAW ist an Fakten nicht interessiert, denn es lebt (wie auch das Small Arms Survey, SIPRI, guncontrol network, IANSA und einige UN-Behörden) davon, dass es ein angebliches „Kleinwaffenproblem“ in Rechtsstaaten gibt.

      Sämtliche Fakten, die belegen, dass dieses Problem nicht existiert, werden deshalb negiert.

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  1. Hat dies auf DingoSaar rebloggt und kommentierte:
    Gerade bei einem so emotional und ideologisch aufgeladenen Thema ist es wichtig, die belastbaren Fakten zu sichern.
    Einige Leute tun so, als ginge es um das „Hobby“ von „Waffennarren“. Das ist erst zweitrangig der Fall.
    Vor allem geht es um Opfer von Gewaltdelikten, die durch Aktionismus und Symbolpolitik die Leidtragenden sind, weil die wahren Ursachen nicht erkannt werden und künftige Gewalttaten deshalb aus purer Ideologie nicht verhindert werden.

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